In der Chronik geblättert

 

Aus der Broschüre: Mürlenbach in Vergangenheit und Gegenwart
Mürlenbach - In der Chronik geblättert

In der Ortschronik von Mürlenbach, die 1874 begonnen wurde, wird anschaulich die Entwicklung des Dorfes in der damaligen Zeit beschrieben. Ereignisse, die die Bevölkerung besonders betroffen haben, wie z.B. soziale oder politische Veränderungen, Unwetter o.ä., werden genau geschildert.
In einem Bericht steht die Brücke über die Kyll im Mittelpunkt und rückt damit die so unentbehrliche Verbindung von Ufer zu Ufer auch uns heute neu ins Bewußtsein.


Die Kyllbrücke


Der Winter 1891/92 war ein strenger. Anfang Dezember trat starker Frost ein, der die Kyll mit einer dicken Eisdecke belegte. Das Frostwetter hielt während des Januar in gleicher Strenge an. Am 24. Januar trat Tauwetter ein, wodurch die ungemein schwere Eisdecke gelöst wurde. Jedermann war bei dem niederen und engen Bau der alten Kyllbrücke gespannt, wie das Eis durchgehen soll resp. welches Schicksl die Brücke erfahren sollte.

In der Nacht vom 24. zum 25. Januar setzt sich die kolossale Eismasse unter donnerähnlichem Getöse in Bewegung. Mit Wucht prallten die Schollen gegen die altersschwache Brücke mit ihren runden Bogen (dieselben hatten drei Strom- und zwei Uferpfeiler und somit vier Bogen bei der Länge der jetzigen Eisenbrücke.) Die Brücke war zwar erst im Jahre 1836 erbaut worden, doch hatte sie in Ermangelung eines guten Baumaterials nicht die nötige Festigkeit. Die mächtigen formvollendeten Eisblöcke vermochten nicht die Bogen zu passieren und konnten auch trotz des heftigen Drucks gegen die Pfeiler nicht zerschellt werden. Einige stemmten sich an der Brücke und diese war für die weiter herkommenden ungeheuren Eismassen gesperrt. In wenigen Minuten türmte sich die Masse zu einem förmlichen Eisberge auf, der sich thalaufwärts soweit erstreckte, als man von der Brücke einsehen konnte.

Die an dem rechten Kyllufer vorbeiführenden Straße nach Birresborn war meterhoch überschüttet, so daß der Verkehr, selbst für Fußpassanten, vollständig gesperrt war. Wasser und Eis suchten sich beiderseits der Brücke einen Ausweg, wodurch die an den Ufern gelegenen Gebäude sogar sehr gefährdet wurden.

Das Vieh wurde unter Lebensgefahr aus den Ställen in Sicherheit geführt bzw. getragen. Am folgenden Morgen waren die Eisenbahngeleise gesperrt. Auch der Platz vor der Kirche war mit meterdicken und 30 bis 40 Quadratmeter umfassenden Eisstücken belegt. Doch räumte die ständige Eisenbahnarbeiterrotte diese bald weg, aber immer trat das Wasser nicht in seine Ufer.

Es war interessant zu sehen, wie der erste Zug gegen 10 Uhr morgens unter Beaufsichtigung mehrerer von Trier hinzugekommenen Bauherren bis an die Wagenachsen zischend und spuckend in langsamen Tempo durchs Wasser fuhr. Das jenseits des Bahngleises gelegene Haus der Wollspinnerei Wilhelm Schlösser stand im Erdgeschoß im Wasser, so daß die Insassen desselben noch am folgenden Tage nicht herauskommen konnten. Selbst bis in den unteren Schulsaal war das Wasser gestiegen.

Mürlenbach Kyll 0001
Mürlenbach an der Kyll 1895

Kräftige Männer legten am 25. Januar - es war ein Sonntag - Hand an, um das gestaute Eis wieder in Gang zu bringen. Doch trotz der anstrengendsten Arbeit vermochten sie es nicht. Es wurde sofort die höhere Behörde von dem Ereignis in Kenntnis gesetzt. Eine Abteilung Pioniere kam noch am selben Abend an, um mit ihren Sprenggeschossen die Brücke wieder frei zu machen und die oberhalb sitzende Masse dadurch in Bewegung zu bringen in der Befürchtung, daß bei eintretendem Hochwasser die Brücke, die bis dahin tapfer standhielt, mit fortgerissen und vielleicht größeres Unheil angerichtet würde.

Die wackeren Pioniere begannen früh am 26. mit ihrer Sprengarbeit. Das war ein Bombardement als donnerten Kanonen gegeneinander. Neugierige Zuschauer der Nachbarorte kamen scharenweise an. Den Knabenschulsaal richtete man auf Anordnung des Herrn Landrats zum Pulverlager ein, und es wurde den Knaben durch Ausfall des Schulunterrichts große Freude bereitet und.sikonnten ihre Neugier an dem seltenen Sprengereignis befriedigen.
Die Erschütterung bei Losgang der Schüsse war so groß, daß in den Nachbarshäusern die Fenster klirrten und mehrere Scheiben sogar zersprangen. Eisstücke von Faust- und Kopfdicke wurden über doppelte Häuserhöhe empor, ja sogar bis über die Kirche an den Hardter Berg geschleudert. Es wurden die anliegenden Schieferdächer durch die herabfallenden Eisstücke arg in Mitleidenschaft gezogen.

Am 27. Januar ging es wieder rüstig an die Sprengarbeit. Erst am folgenden Tage gelang es, die Brücke soweit frei zu machen, daß das Eis in Bewegung kam.
Wenngleich die Brücke dem gewaltigen Anstoßen des Eises Trotz geboten zu haben schien, so merkte man bei näheren Besichtigung, daß dieselbe in ihren Grundfesten erschüttert war, nicht allein infolge der Eisstöße, sondern auch durch die Erschütterung des Sprengens.

Es wurde eine notwendige Reparatur anerkannt und im Sommer desselben Jahres vorgenommen. Nachdem zwecks dessen von der Gemeinde ungefähr 1.500 Mark verausgabt waren, glaubte man, die Brücke weiter für längere Zeit instand gesetzt zu haben. Doch diese Hoffnung sollte schon der nächstkommende Winter zuschanden machen.
Auch in diesem überzog sich die Kyll mit starker Eisdecke, wodurch ähnliche Befürchtungen für die Brücke, wie im Vorjahr, angeregt wurden. Ende Januar trat Regenwetter ein, das Wasser stieg und brachte das Eis in Bewegung. Am Morgen stand die Brücke, wie es auf den ersten Blick schien, unbeschädigt, doch war dem linken Ufer zunächststehenden Strompfeiler fast gänzlich weggerissen worden, während die darauf erbauten Bogen noch festgefügt standen.

Die Strömung der Kyll war durch anhaltenden Regen und abgehenden Schnee ungewöhnlich stark geworden, und was das Eis von dem beschädigten Pfeiler nicht fortgerissen, räumte am Vormittag des kommenden Tages die zum Strom angeschwollenen Kyll.

Bald entstanden auch schon auf der oberen Brückenseite entlang der Straße bedenkliche Risse, was die polizeiliche Sperrung der Brücke alsbald zur Folge hatte. An dem darauffolgenden Morgen stürzten die ihrer Stütze beraubten beiden Bogen ein, während die unteren mit ihren Pfeilern dem wütenden Element sich noch nicht zu beugen schienen. Da ihnen aber der Halt nach der einen Seite ganz fehlte, so war keine Rettung.


"Zerborsten und zertrümmert schoß ein Pfeiler nach dem anderen fort". Es waren nunmehr die diesseits und jenseits der Kyll gelegenen Ortsteile vollständig getrennt, und es wird schon alsbald fühlbar werden, wie sehr der eine Ortsteil auf den anderen angewiesen ist.
Wegen des Hochwassers war in diesen Tagen nicht einmal die Anlage eines Notstegs möglich, sondern es war die Densborner oder Birresborner Kyllbrücke zu benützen.

Kirche einerseits, Pfarrhaus anderseits. Schulsäle jenseits, Lehrerwohnung diesseits der Kyll - so mußten Gottesdienste und Schule ausfallen. Des Sonntags mußte der Gottesdienst in Densborn oder Birresborn besucht werden. Endlich gelang es, einen Weg unterhalb der sogenannten Kyllinsel, wo das Flußbett etwas schmal ist, anzubringen.

Es konnte auch der Schulunterricht wieder aufgenommen werden. Doch wegen des wiedereintretenden starken Regens trat die Kyll auf dem linken Ufer dicht an die Bahngleise, und es war der Vorbeigang nicht möglich und das Betreten des Bahnkörpers nich statthaft. Es mußte der Unterricht wieder unterbrochen werden, bis die Eisenbahnverwaltung mit Ersuchen der Ortsbehörde einen Übergang über die Geleise neben dem angelegten Stege herrichten ließ.

Für Fußgänger war nun notdürftig gesorgt, aber bald wurden unsere Bauern, die an die Bestellung ihrer einerseits und andererseits der Kyll gelegenen Äcker dachten, besorgt. Doch wurde auch hierin nach langem Raten, Überlegen und Planen gesorgt. Es wurden viele, sehr viele Pläne zu einer Notüberfahrt gemacht, doch schien der von Bierbrauer Herrn Kersten am annehmbarsten zu sein und es wurde derselbe ausgeführt. 

Zunächst wurde die königliche Regierung zur Abgabe der zum Bau einer Notbrücke erforderlichen Holzes aus dem Gemeindewald ersucht, und alsbald wurde dem Ersuchen Gehör gegeben. Auf vier starken Holzböcken ruht anfangs März eine festgezimmerte, vernagelte, mit Rieddecken belegte Holzbrücke. Manches Kopfschütteln ließ anfangs die Haltbarkeit und Tragfähigkeit der Brücke bezweifeln, doch zeigt sich in der Folge, daß Herr Kersten unter dessen gemeinnütziger Anordnung und Bauaufsicht die Brücke erbaut wurde, sich als trefflicher "Baumeister" erwies.

Es wurde zwar anfangs der Übergang schwerer Lastfuhren polizeilich verboten, doch schien es bald, als wollte man die äußerste Leistungsfähigkeit der Brücke erproben. Nach kurzer Zeit wurden die schwersten Wagenlasten 60 bis 80 Zentner, übergefahren, ohne daß die Brücke wankte.

Es wurden nun bald Überlegungen zum Neubau einer festen Brücke eingeleitet. Allein vermochte die leistungsunfähige Gemeinde die Kosten nicht zu tragen. Es wurden daher Unterstützungen nachgesucht und bewilligt. Nach einem Kostenplan von 25.000 Mark wurde eine Eisenbrücke errichtet, deren Unterbau von dem Bauunternehmer Cronibus aus Kyllburg hergestellt wurde, der Eisenbau war von einer Firma namens Juchum aus Dortmund. 

Die Kosten wurden getragen von der Provinz (7.000 Mark), dem Kreis (5.000 Mark), der Eisenbahnverwaltung (7.000 Mark), nur der Rest mit 6.000 Mark verblieb der Gemeinde. Am 26. Januar 1894 wurde die Brücke fertig gestellt.

Herausgeber: Ortsgemeinde Mürlenbach 1997
Redaktion: Eifelverein OG Mürlenbach
Text: © Mathilde Reichertz

 
 
 
 

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